Moto Guzzi The Clan
MOTO GUZZI EXPERIENCE

MG Experience Tunesien 2019: eine Fahrt durch das Tor nach Afrika

Moto Guzzi, der „Adler von Mandello“ fliegt durch das „Tor nach Afrika“. Eine zehntägige Reise, auf der man sich garantiert in das Land Tunesien verlieben wird. Während du mit einer internationalen Gruppe von Mitgliedern der Community The Clan im Konvoi fährst und dem Schlag, dem Rhythmus der V2-Motoren aus Mandello del Lario lauschst, erlebst du unvergessliche Landschaften, architektonische Meisterwerke und Abenteuer ganz im Stil von Moto Guzzi: Es handelt sich um die Moto Guzzi Experience Tunesien 2019!

Lies unsere Geschichte Etappe für Etappe und schau dir die besten Bilder in der Fotogalerie an.

ETAPPE 1 – VON ITALIEN NACH TUNIS: AFRIKAS SONNE ERWARTET UNS201912_MGEXP_Tunisia-reportage-tappa1

Eine Reise anzutreten, verläuft oft nicht ganz so, wie man sich das vorgestellt hat. Aber du kannst dir sicher sein, dass dieser Kloß im Hals, der seine Ursache in einer Mischung aus Angst und Aufregung hat, immer gegenwärtig sein wird – besonders weil der Winter in Genua mehr als hart ist, draußen herrscht stürmischer Wind!
Der Wind ist heftig und starker Regen prasselt auf unsere 26 Moto Guzzis, die bereit stehen und darauf warten, die Moto Guzzi Experience Tunesien in Angriff zu nehmen. Wird es ein Abenteuer, so wie wir es uns wünschen Nun, hier kommt unsere Geschichte!

Die Teilnehmer verabschieden sich und stellen sich anschließend in die Schlange, um ihre TomTom Rider 550, auf denen die einzelnen Tagesetappen abgespeichert sind, und die Schlüssel für ihre nagelneuen Moto Guzzi-Maschinen in Empfang zu nehmen. Einige von uns brauchen das nicht, denn sie sind mit ihren eigenen Moto Guzzis gekommen. Doch im Moment ist keine Zeit für eine Vorstellung: Wir müssen die Fähre erwischen, eine 24-stündige Seereise liegt vor uns, aber…. Moment mal: Einer der Teilnehmer war leider etwas unachtsam, steigt auf seine super ausgestattete V85 TT, er hat jedoch seinen Reisepass vergessen. Im letzten Moment schafft er es, an Bord zu kommen, nachdem ihm sein Pass irgendwie doch noch rechtzeitig aus Mailand gebracht wurde: Heute Abend gehen die Drinks auf ihn!

Wir sind an Bord und finden endlich Zeit, uns beim ersten von weiteren Briefings, die noch kommen werden, einmal genauer in die Augen zu schauen. Die Reiseleiter starten mit ihrer Präsentation. Drei Tourguides: Zwei führen die Gruppe auf Motorrädern an, der Dritte folgt dem Konvoi mit einem allradgetriebenen Begleitfahrzeug. Dahinter befindet sich ein Kleintransporter, gefahren von zwei Moto Guzzi-Technikern, die Ersatzteile und Reservemotorräder – für den Fall der Fälle – an Bord haben.
Aufmerksam lauschen wir den Instruktionen über den straffen Ablaufplan, der uns erwartet. Ein Lächeln ist auf unseren Lippen, wir genießen den Spirit dieser Reise und den der Gruppe. Apropos Gruppe: Es ist ein internationaler Teilnehmerkreis aus den USA, Frankreich, Deutschland, Finnland, der Schweiz und natürlich aus Italien. Was sie alle verbindet, ist ihre Mitgliedschaft bei The Clan und ihre Leidenschaft für den „Adler von Mandello“. Tunesien erwartet uns!

Die raue See weckt uns bereits früh auf: Es scheint so, als sei das Wetter in Tunis nicht besser als das, was wir zurückgelassen haben. Bei der Zollabfertigung, mit all den Stempeln, gibt es zunächst eine größere Verzögerung, aber das ist uns egal: Wir haben es geschafft! Es ist spät am Nachmittag, als die Räder unserer Moto Guzzis endlich auf afrikanischem Boden rollen! Fairerweise muss man zugeben, dass es eher nasserer, als loser Untergrund ist. Es ist dunkel, die Straßen sind schlecht beleuchtet. Es sind zwar nur noch wenige Kilometer bis zum Hotel, aber wir sind schon etwas aufgeregt, als wir zum ersten Mal als geschlossener Konvoi unterwegs sind. Ein Konvoi, der bereit ist, Tunesien unter die Räder zu nehmen … oder ist das vielleicht doch ein bisschen zu dick aufgetragen? Nein, überhaupt nicht!

ETAPPE 2 – VON TUNIS NACH TABARKA (CA. 270 KM): ENDLICH UNTERWEGS – MAN BLEIBT NICHT UNBEMERKT
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Es ist erst acht Uhr morgens an unserem ersten Tag auf der Straße, und schon gibt es drei Punkte, von denen wir wissen, dass sie uns bis zum letzten Tag begleiten werden:
1) Die Hotels in Tunesien sind riesig, ungemütlich üppig und halbverlassen. Aber es zeigt trotzdem, dass der Tourismus nach der Krise, die ein Jahrzehnt angedauert hat, langsam wieder anläuft.
2) Unsere tägliche Abfahrtszeit lautet 8.00 Uhr morgen. „Hintern auf den Sattel!”, hört man unseren Tourguide rufen; und wehe dem, der zu spät kommt!
3) Die tunesische Regierung ist sehr um ihre Touristen bemüht, besonders wenn es sich um Motorradfahrer dreht: Die Fremdenverkehrspolizei erwartet uns am Hoteleingang – nicht etwa, dass sie eingeladen wurde. Sie wird uns die ersten Tage unserer Reise eskortieren, oder, noch besser, sie macht uns mit ihren Sirenen die Straße frei. Unterwegs gibt es eine Reihe von „Wachwechseln“. Wie eine gut inszenierte Ballettaufführung wechseln sich an der Grenze zu jedem Gouvernement die Polizeiwagen ab.

Wir stellen rasch fest, dass die tunesische Polizei bessere Reisebegleiter sind, als wir es uns je hätten vorstellen können. In puncto Geschwindigkeitsbegrenzung zeigt sie sich ziemlich flexibel, denn wir sind ständig bemüht, irgendwie unseren eng gesteckten Zeitplan einzuhalten. Sie begleitet uns durch den Verkehr zum Stadtrand von Tunis. Veranlasst auf dem Weg sogar die Autos und Lastwagen, Platz zu machen, um uns durchzulassen. Im Grunde wirkt das Ganze aufgrund der Lichter, Sirenen und des Sounds unserer V2-Motoren plötzlich wie der „Durchzug eines Präsidenten“. Die Menschen, von denen wir nach dem Verlassen Tunis’ immer weniger sehen werden, drehen sich um, Frauen winken uns zu und die Smartphones sind auf uns gerichtet: „Wer sind die? Vielleicht Berberprinzen mit ihrem Kamelkonvoi?” Zunächst kommt uns das Ganze irgendwie etwas seltsam vor. Dieser „Zirkus” ist sicher nicht dazu angetan, um uns möglichst unauffällig in die Szenerie zu integrieren. Doch wir müssen schließlich feststellen, dass die Begeisterung, die Spannung, die den Blicken unserer Beobachter, vor allem der Kinder, zu entnehmen ist, eine ganz besondere Aufgeregtheit ist, die uns noch mit einigen der schönsten Emotionen belohnen wird, die wir im weiteren Verlauf der Moto Guzzi Experience Tunesien erleben werden.

Weniger begeistert sind wir allerdings vom Regen und der Kälte, die uns den größten Teil unserer morgendlichen Fahrt begleiten. Zum Glück lockert das winterliche Wetter kurz vor Beginn unserer ersten Etappe auf. Auf unserem Weg zu den Ruinen von Dougga kommt endlich die Sonne durch.
Der Besuch dieser antiken Stätte, eine der berühmtesten des Landes, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, ermöglicht es uns, die prächtigen und perfekt erhaltenen Überreste der verschiedenen Kulturen kennenzulernen, die Tunesiens Geschichte geprägt haben. Vor uns liegt ein ganzer Berghang, den es zu erkunden gilt. Wir gehen durch die gepflasterten Gassen unter römischen Bögen hindurch, schauen uns numidianische und punische Tempel und Mausoleen an und entdecken ein beeindruckendes römisches Theater, das sich an den Hang schmiegt.
Das Ausmaß der Ruinen von Dougga überwältigt uns noch mehr, als wir merken, dass wir allein dort sind. Doch wir werden uns noch daran gewöhnen. Denn vor allem diese Region hier im Nordwesten Tunesiens ist übersäht mit Attraktionen. Historisch zählt sie allerdings weniger zu den touristischen Routen, diese liegen mehr im Süden. Ein Geschenk des Himmels für Gruppenfotos. Klick: Das war das erste von vielen, die noch folgen werden! Doch nicht jeder ist davon begeistert und so kommt es bald zu dem „Running Gag“, der mit starkem deutschen Akzent verkündigt wird: „Photo di groupo!“, nach dem alle so tun, als wollten sie weglaufen.

Zum Mittagessen gibt es köstliche Lammkoteletts, serviert mit einigen höllisch-scharfen Chilisaucen, die wir am Ende unserer Reise tatsächlich sogar auf unserem Brot vertilgen können. Dann ist es schon Zeit zu gehen. Vor uns liegt ein langer Bergpfad, der uns durch üppige Natur führt. Regen, Wind und Kälte lassen den scheinbar endlosen Anstieg zu einer echt anstrengenden Prozedur werden. Wir folgen im Dunkeln den blinkenden Lichtern. Müde, verfroren und mit vielen Eindrücken im Kopf erreichen wir am Ende unseres ersten intensiven und anstrengenden Tages mit unseren Maschinen die Kleinstadt Tabarka. Wir sind auf Tour, wie cool! Aber ist das das wahre Tunesien? Wann werden wir die Dünen und die Kamele sehen? Wann werden wir die Wüste sehen?

ETAPPE 3 – VON TABARKA NACH SBEITLA (CA. 300 KM): SONNENUNTERGÄNGE VERFOLGEN201912_MGEXP_Tunisia-reportage-tappa3

Das Wetter ist nicht besser geworden. Beim Verlassen von Tabarka merken wir nicht einmal, dass wir uns in Meeresnähe befinden, obwohl es nur wenige Kilometer entfernt ist. Doch uns erwartet eine wunderschöne Bergstraße mit sanften Kurven und Ausblicken auf…. den Nebel, der sich glücklicherweise, nachdem wir mit unseren Maschinen im Gänsemarsch und mit geöffneten Visieren die Passhöhe erreichen, zum richtigen Zeitpunkt doch noch auflöst. Ein Schauspiel unterschiedlichster Grüntöne, von Regentropfen übersäht, bietet sich uns. Doch in der Ferne, Richtung Süden, scheint die Sonne, und genau dort wollen wir hin. Heute und morgen geht es mit unseren Motorrädern entlang der algerischen Grenze. Das Gebiet ist stark militarisiert und der Anblick der bewaffneten Soldaten führt uns klar vor Augen, wie eingeschränkt der Zugang für Touristen von jenseits der Grenze ist. Für uns ist es ein kleines Privileg, mit unseren Guzzis durch diese Region fahren zu können.

Wir finden langsam unseren Rhythmus und stellen rasch fest, dass wir jeden Tankstopp dazu nutzen sollen, unsere Beine ein wenig zu vertreten und uns mit paar Tunesiern anzufreunden. Die Stopps legen wir etwa alle 150 Kilometer ein, weil die 1400er als erste in die Reserve laufen. Obwohl wir an den touristischen Orten fast immer alleine sind, scheint sich ein großer Teil örtlichen Lebens um Zapfsäulen und ramponierte, zwei- und vierrädrige Fahrzeuge – um fast unkaputtbare und stets überladene Peugeot 404 und 504 Pickups – zu drehen, von denen einige seit den 60er Jahren existieren. Sie sind überall zugegen und werden für manche von uns recht schnell zu einer kleinen Attraktion. Die Zeit, die vergeht, um alle Maschinen zu betanken, reicht aus, um mindestens 20 Fotos mit Mitgliedern jeder Familie zu machen und jemanden zu treffen, der Italienisch oder Englisch spricht oder möchte, dass wir ihm alles über unsere Expedition erzählen. Mal für Mal lehren uns die Motoren unserer Guzzis, dass sie der Schlüssel zur Begegnung mit Menschen sind, die, wie wir noch lernen werden, immer bereit sind, sich eine Auszeit von ihrem Alltag zu gönnen. Wir fühlen uns weniger als Touristen, mehr als Reisende und definitiv noch mehr als Motards, wie Motorradfahrer hier genannt werden.

Als wir in Le Kef ankommen, haben sich die Wolken verzogen. Wir schauen in einen herrlich blauen Himmel und genießen die Aussicht, die wir von der Spitze der Kasbah, der berühmten osmanischen Festung, die zum Schutz der Grenze zu Algerien errichtet wurde, noch atemberaubender werden lässt. Eine weiße Straße führt uns zum Mittagessen auf einem herrlichen Ferienbauernhof. Dessen junge Besitzer weigern sich allerdings, uns ohne ein Gruppenfoto gehen zu lassen.

Ab diesem Zeitpunkt können wir uns für den Rest unserer Reise zum Glück vom Regen verabschieden. Das Wetter entspricht jetzt endlich dem, was wir uns von einem Winter in Tunesien versprochen hatten. Die Temperaturen, mit 10/13°C am Morgen und am Abend und etwa 20°C am Mittag, schwanken um die 10°C.
Nachdem wir uns einiger wärmender Klamotten entledigt haben, fühlen wir uns deutlich wohler und komfortabler, um die langen, geraden und gut asphaltierten Straßen in Angriff zu nehmen, die sich fast so weit erstrecken, wie das Auge in Richtung der Ebene vor uns reicht. Am Horizont sieht man nur das plane Profil eines ungewöhnlich geformten Berges: Er ähnelt einem abgeholzten Baumstamm, so gleichmäßig sieht seine Oberfläche aus. Es ist der Table de Jugurtha: ein natürlicher Tafelberg, der etwa 80 Hektar misst und eine Höhe von mehr als 1.200 Metern hat. Er entstand durch verschiedene Erosionen und wurde von den Berbern jahrhundertelang als Zufluchtsort genutzt. Nachdem man mit den Motorrädern eine schmale und steile Straße passiert hat, erfolgt der Aufstieg zum Gipfel über eine in den Felsen geschlagene Treppe. Die Aussicht ist atemberaubend: Langsam geht die Sonne unter. Im Hintergrund können wir sehen, wie sie in die kargen Hänge der Kabylei eintaucht, einem Landesteil, der die zum Mittelmeer gelegene Seite Algeriens von der Wüstenseite trennt.
Um ehrlich zu sein: Eigentlich war unser Plan, immer bevor es dunkel wird, an unserem Hotel anzukommen. Aber wer kann widerstehen, einen so einzigartigen Sonnenuntergang zu erleben? Wir gönnen uns trotz unseres strengen Zeitplans ein paar Minuten mehr, um die Aussicht zu genießen, bevor wir die letzten Kilometer, die uns von Sbeitla trennen, in Angriff nehmen.

STUFE 4 – VON SBEITLA NACH TOZEUR (CA. 290 KM): VOM ALTEN ROM ZU DEN BERGOASEN201912_MGEXP_Tunisia-reportage-tappa4

Das Aufwachen in Sbeitla ist anders. Wir befinden uns im Herzen Tunesiens. Die klare und frische Luft sagt uns, dass wir ins Zentrum unserer Reise eintauchen: Heute wird ein besonderer Tag!
Wenige hundert Meter vom Hotel entfernt schlendern wir durch einige der besterhaltendsten römischen Ruinen des Landes: die archäologische Fundstätte der antiken römischen Stadt Sufetula, von der der Name „Sbeitla” abgeleitet ist. Obwohl kleiner als die Ruinen von Dougga, versetzt sie uns mit ihren vielen Monumenten und der Größe ihres Kapitolshügels in Erstaunen. Drei Tempel stehen dort nebeneinander, die Jupiter, Juno und Minerva geweiht sind, die – ohne sich der vergangenen Jahrhunderte bewusst zu sein – lange Schatten auf unsere wackeligen Gestalten werfen, die wir noch leicht schläfrig und trotzdem begeistert sind. Wieder einmal sind wir alleine. Da ist nur ein einheimischen Herr, der uns neugierig beobachtet. Er trägt einen Burnous, einen traditionellen Maghreb-Mantel, der im Regelfall aus Kamelwolle besteht. Ja, was ist heute wohl die Attraktion von Sbeitla?

Ab geht’s, zurück auf die Maschinen! Die ersten 170 Kilometer des Tages erwarten uns. Gerade genug, um uns richtig wach werden zu lassen. Wir fahren durch eine Reihe ständig wechselnder Landschaften, die zunehmend mehr Wüstencharakter bekommen: Die Landschaft ist zunächst hügelig, dann flach und dann bergig.
Am späten Vormittag erleben wir einen etwas eigenartigen Wechsel der Polizeiwagen, die uns quasi seit Tunis begleitet haben: Alles ist in Ordnung. Plötzlich rast die neue Eskorte mit einem Höllentempo davon, überlässt uns unserem Schicksal. Wir sollen sie nur an den letzten Tagen unserer Reise gelegentlich wiedersehen: Tunesien gehört jetzt uns!

Auf einer Terrasse in Moularès genießen wir unser Mittagessen mit leckeren gegrillten Fleischspießen. Dort erfahren wir, dass einer unserer französischen Freunde sich nicht so gut fühlt und nicht weiterfahren kann: Er hat wichtige Medikamente verloren. Während eine Apotheke uns erfolgreich helfen kann, bietet sich eine Italienerin, die als Sozia mit uns unterwegs ist, an, die derzeit fahrerlose V7 III Stone Night Pack zu übernehmen. Wir stellen rasch fest, dass auch sie eine gute Motorradfahrerin ist. Nach zwei Tagen fühlt sich unser „Motard“ wieder besser und ist bereit, wieder auf seine Maschine zu steigen!

Viele von uns meinen, dass Oasen immer in der Wüste inmitten von Dünen liegen, aber die drei, die wir gleich sehen sollen, sind Bergoasen. Drei Meisterwerke der Natur folgen nacheinander. Auf einer der schönsten und kurvigsten Straßen, die wir während der gesamten Reise befahren, geht es von einer Oase zur nächsten: Was wollen wir mehr?

Zunächst erreichen wir den Midès Canyon. Er befindet sich nur einen Kilometer von Algerien entfernt, in einer schwindelerregenden Schlucht. Wir bewundern die vielfältigen Farben der Felsen, die im Laufe der Jahrtausende von den Wasserläufen ausgewaschen und geglättet wurden, um eine perfekte natürliche Verteidigung für das alte Dorf zu sein. Um den tiefsten Punkt zu erreichen, gehen wir an den Überresten der gespenstisch anmutenden Lehmziegel-Hüten des Dorfes vorbei, die durch die Überschwemmungen im Jahr 1969 zerstört wurden und zahlreiche Menschenleben kostete. Eine tragische Geschichte, die uns klar macht, wie wenig Wissen die Menschen hier über Wasser besitzen.
Dann kommen wir nach Tamerza, der größten Bergoase Tunesiens. Von der Vielfalt der Farben, die an den Marktständen zu sehen sind, wie von dem kleinen Canyon mit seinem bezaubernden fünf Meter hohen Wasserfall, werden wir regelrecht überwältigt. Es ist der ideale Zeitpunkt und Ort, um einen Pfefferminztee zu trinken: So wie die Karawanen früher, genießen auch wir heute eine Erfrischung, die aus dieser nie versiegenden Wasserquelle stammt, die dem einzigartigen Ort das Leben ermöglicht. Hier bietet sich zugleich eine Gelegenheit, um „die Reifen unserer Maschinen“ auf dem kurzen Zufahrtsweg einmal richtig einzusauen: Einige von uns können es nicht lassen, sich im Offroad-Stil in die Fußrasten ihrer V85 TTs zu stellen und sogar in der kleinen Furt herumzufahren.
Schließlich kommen wir nach Chebika. Ein kleiner, nur ein Kilometer langer Umweg und unser Konvoi rast einen Weg hinab, der durch einen dichten Palmenhain führt. Wir kommen auf der anderen Seite heraus und tauchen in eine Art Gemälde ein: Hinter uns befinden sich nur Palmen und Berge, die vom warmen Licht des Sonnenuntergangs angestrahlt werden. Vor uns erstreckt sich eine violette Ebene mit dem kleinen Salzsee von Chott el Gharsat. Zu unserer Linken sehen wir schließlich die ersten Dromedare!

Wir sind überwältigt von all dem: von den Farben, Lichtern und stimmungsvollen Bildern, die Tunesien den Kosenamen „Das Tor zu Afrika” einbringen. Die letzten Kilometer des Tages verbringen wir wie folgt: Berauscht, fast wie betäubt und sofort von jeglicher Müdigkeit befreit, schauen wir uns gegenseitig an, während wir mit unseren Moto-Guzzis unbeschwert nach Tozeur düsen; auf dem Weg in die Sahara!

ETAPPE 5 – VON TOZEUR BIS DOUZ (CA. 210 KM): ANKLOPFEN AM TOR IN DIE SAHARA
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Als wäre die Atmosphäre unserer Expedition nicht bereits surreal genug, verleiht die erste Hälfte des heutigen Tages unserer Phantasie Flügel: Von unserer Südroute machen wir einen Abstecher nach Westen. Vorbei am Dorf Nefta, führt uns der Weg nach Ong Jmal, einem der berühmtesten und besterhaltenen Filmschauplätze der Star Wars-Saga.

Ein schmaler, 25 Kilometer langer Asphaltstreifen durchtrennt die Wüste und folgt den Kurven, wo vor nur einem halben Jahr nur eine Piste durch die Dünen verlief. Abgesehen von dem Glück, das von George Lucas in den späten 70er Jahren erbaute Dorf mit dem Motorrad erreichen zu können, haben wir das Vergnügen, ganz allein, im gleißenden Licht der Morgensonne, diese Straße mit ihrem „griffigen” Asphalt, unter die Räder nehmen zu können.
Ong Jmal verdankt seinen Namen einer kuriosen Sandsteinformation, die dem Hals eines Kamels ähnelt – wörtlich: Ong Jmal. Es wird behauptet, dass es genau hier gewesen ist, wo der amerikanische Filmemacher die Anregung bekam, das Star Wars Universum zu schaffen. Heute sind hier noch ein guter Teil der Strukturen des Sets von „Mos Espa”  – wie es in den Filmen genannt wurde – und eine Gruppe Einheimischer übrig geblieben, die die Besucher mit ihren Dromedaren willkommen heißen: „Un dinar, un dinar pour la photo, s’il vous plaît!”. Dieser „touristische“ Auftritt, im herkömmlichen Sinne des Wortes, beruhigt uns geradezu: Zumindest hier scheint ein Teil des Geschäfts überlebt zu haben. Während wir das Set besuchen, gönnen wir uns auch einen Ritt auf den Kamelen, was mit einem Gruppenfoto der Teilnehmer, der Maschinen und der Kamele endet. Dabei erleben wir ein etwas heiteres Durcheinander von Sprachen und Rufen: „Dieses Kamel muss mindestens zwei Meter weiter weg! Ja, so, sitzend, nicht stehend!”. Aber es ist nicht nur ein guter Moment, um einmal richtig zu lachen. Wir nutzen die Gelegenheit auch, um die VESPA 946 „RED“ T-Shirts zu tragen, um den Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS zu unterstützen, der den Dörfern in der afrikanischen Subsahara lebenswichtige Medikamente im Kampf gegen HIV/AIDS zur Verfügung stellt. Wir sind sicher, dass uns der „Adler von Mandello“ die heutige Aktion verzeihen wird.

Eigentlich müssen wir wieder los, aber es ist unmöglich, sich der imposanten Sanddüne neben Ong Jmal zu entziehen. Ein zustimmendes Nicken der Tourguides und wir starten ein turbulentes „Motorrad-Karussell“ auf dem feinsandigen Gelände. Ein paar von uns versuchen sich sogar im Driften. Andere bleiben lieber entspannt im Sattel ihrer Guzzis sitzen und genießen einfach nur die Show und die Momente purer Freiheit. Wir fühlen uns wieder wie Kinder. Doch einer der „Väter” unserer Expedition beschließt, uns einmal zu zeigen, wie Erwachsene sowas machen. Einer unserer Guides steigt auf eine V85 TT – wählt den Off-Road-Modus – und stürmt mit hochgedrehtem Motor zum Anstieg auf die Düne. Mehrmals fährt er rauf und runter, streichelt mit dem Vorderradreifen nur soeben den ultrafeinen Sand, der sich fast wie Talkum anfühlt. Mit dem Hinterreifen wirbelt er Sandfontänen auf, und das, ohne auch nur ansatzweise ins Schlingern zu geraten, fährt er mit dem Selbstvertrauen von jemandem, der garantiert nicht zum ersten Mal an einem Rodeo teilgenommen hat.
Nachdem wir das Potential der Tuttoterreno mit eigenen Augen erleben konnten, findet auch einer von uns den Mut, die Düne in Angriff zu nehmen, um seine eigene V85 TT mit dem Sand der Sahara zu taufen. Ja, die Sahara ist schließlich nicht irgendeine Wüste, sondern die, die der kultigen gelb-weiß-schwarzen Lackierung seiner Maschine ihren Namen gab. Wie man gerne sagt, eine solche Chance gibt es nicht unbedingt ein zweites Mal. Der Wagemutige kommt ohne Probleme rauf. Es folgt tosender Applaus. Doch der Weg runter scheint etwas komplizierter. Bereits nach wenigen Metern umschließt der feine Dünensand sein Vorderrad und lässt ihn – unter tosendem Gelächter – Hals über Kopf absteigen.

Nachdem die V85 TT vom Sand befreit ist, kehren wir zurück nach Tozeur, um dort, eingebettet in die Oase der Stadt, im Schatten eines der größten Palmenhaine der Welt, ein typisch arabisches Mittagessen im Freien zu genießen. Hier endet jede Mahlzeit mit Datteln: Tozeur gilt als die Welthauptstadt der Datteln. Wir kosten die Sorte Deglet Nour, die als die absolut beste der über 180 bekannten Sorten gilt. Wie das Sprichwort sagt: „Je mehr du bekommst, desto mehr willst du haben”, und bevor wir die Stadt verlassen, verhandeln wir noch über den Kauf einer 10 kg-Kiste, die wir uns am Ende der Reise teilen werden.

ETAPPE 6 – VON DOUZ NACH TATAOUINE (CA. 310 KM): VERSTECKTES TUNESIEN
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Es ist 8:00 Uhr morgens. Wir sitzen im Sattel und sind startbereit, aber… alle bleiben stehen: Es gibt eine Überraschung. Nicht die Polizei, sondern eine Crew eines lokalen Radiosenders ist gekommen, um uns zu filmen! Wir haben wohl mehr Aufmerksamkeit erregt, als wir uns vorgestellt haben.

Ein paar kurze Interviews auf Französisch und wir steigen wieder auf die Maschinen, um einen der schönsten Tage unserer Experience, der für uns heute den direkten Kontakt und Durchquerungen verschiedener Wüstenlandschaften bereit hält, zu erleben.
Es dauert nicht lange, bis wir die Silhouetten der Dünen hinter uns lassen. Wir fahren durch eine Bergwüste, wo die Geraden herrlichen Kurven weichen. Nach einer Stunde Fahrt machen wir in Tamazret, am Gipfel einer äußerst spannenden Strecke, Halt. Während einige von uns einen ganz besonderen Mandeltee schlürfen und „Gazellenhörner”, eine lokale Süßigkeit aus mit Mandeln und Honig gefülltem Blätterteig, die an die Form eines Horns erinnern, probieren, nutzen wir die Pause und machen ein paar Fotos von sechs eingefleischten Motorradfahrern, die von Kurven und Kilometern scheinbar nie genug bekommen können.

Am Ortseingang von Matmata treffen wir die Gruppe wieder. Matmata ist ein malerisches Berberdorf, mit dem typischen Baustil der in den Fels gehauenen Höhlenwohnungen, die wir schon auf den letzten Kilometern aus der Ferne erblicken konnten. Als wir im Dorf ankommen, müssen wir jedoch feststellen, dass die notwendige Kraftstoffversorgung an der Tankstelle, die wer weiß wann geschlossen hatte, nicht möglich ist. Es bleibt uns nur die Möglichkeit, Bewohner des Ortes um Hilfe zu bitten. Diese machen sich sprichwörtlich den Rücken krumm, um irgendwie fünf Liter pro Maschine aufzutreiben. Das reicht uns für die Weiterfahrt. In wenigen Minuten sind wir im Ort das Tagesthema. Wie so oft erweist es sich, dass ein Problem oft zu einer Gelegenheit wird. Wir lösen uns einfach von unserem Plan und den Vorgaben unseres prall gefüllten Terminkalenders.  Wir legen unsere Helme für eine Weile auf Seite und widmen uns den Menschen, die hier in  der Region leben, die wir seit Tagen an uns vorbeiziehen sehen. Allerdings hat alles auch seinen Preis: So fällt der eigentlich geplante Besuch in Matmata aus. Am Ende bedauern wir es nicht, denn was jetzt vor uns liegt, ist noch viel besser!

In der Tat machen wir von hier aus noch einen großen Abstecher. Wir wollen Tataouine nicht auf der normalen Route erreichen, sondern fügen einen stattlichen Schlenker von fast 100 Kilometern durch die Region Dahar, die vor allem für die Ksour bekannt ist, ein.
Die Ksour sind spektakuläre Speicherkammern und Siedlungen der Berber, deren wellenförmige Strukturen an die katalanische Moderne und die Werke von Antoni Gaudì erinnern. Die Region hier ist reich an historischen Zeugnissen. Die indigene Bevölkerung, die Berber, was so viel bedeutet wie „freie Männer“, fanden hier, geschützt durch die Berge, nach der arabischen Invasion Zuflucht.
„Karawanen“ von Motorrädern erlebt man in Tunesien eher selten und die Region scheint auch heute noch vollkommen unberührt. Es gibt keinen Verkehr und auch Touristen sind nirgendwo in Sicht. Wir genießen den Blick auf weite Täler, beim Durchfahren der engen Dorf-Passagen, die wir nur im Schritttempo durchqueren, schauen uns die Kinder mit völlig erstaunten Augen an. Sie laufen um uns herum, strecken ihre Hände aus, um uns eine High-Five zu geben – eine stille Verständigung mit einem Lächeln im Gesicht: Weder wir noch sie haben jemals einen solchen Moment erlebt.
Zum Mittagessen sind wir in Tataouine. Als wir wieder auf unsere Maschinen steigen, um unsere Tour fortzusetzen, stellen wir fest, dass eine V85 TT einen Plattfuß hat. Übrigens: Das war das einzige Problem in 10 Tagen und damit auch die einmalige Gelegenheit der Moto Guzzi Mechaniker, in Aktion treten zu können. Die Zeit, den Schlauch zu wechseln, war zu knapp. Also wurde die Maschine kurzerhand gegen ein Ersatzfahrzeug getauscht. Bereits nach wenigen Minuten können wir unsere Fahrt fortsetzen. Der defekte Schlauch wird noch am selben Abend im Hotel getauscht, sodass „Deflated”, wie diese Maschine nun von uns genannt wird, am nächsten Tag wieder einsetzbereit ist.

Der Tag endet mit einem Besuch in Ksar Ouled Soltane, dem spektakulärsten aller Ksour, das einen Keller über vier Etagen besitzt – üblich sind nur zwei. Dann geht es weiter nach Chenini. Gegen Einbruch der Dunkelheit stellen wir unsere Maschinen auf dem Vorplatz am Fuße des berühmtesten Berberdorfes der Troglodyten ab, das geschützt in geschützter Lage an einem Berghang liegt. Es bleibt nur wenig Zeit. In Begleitung unserer Tourguides machen wir einen kurzen Rundgang. Die Guides erzählen uns, dass es vor 10 Jahren wegen der vielen Touristen sogar zu dieser Zeit schwer gewesen wäre, hier selbst für ein Motorrad einen Parkplatz zu finden. Heute sind wir die einzigen Besucher. Die Tourismuskrise wurde vor 10 Jahren durch den arabischen Frühling – Proteste, Aufstände, Revolutionen – ausgelöst und durch die Terroranschläge der Jihadisten 2015 in Tunis und Susa weiter verschärft.

Als wir die Stadt verlassen, hat sich die Temperatur nicht verändert, obwohl die Sonne bereits untergeht. Fasziniert vom zinnoberroten Licht des Sonnenuntergangs, dessen Strahlen wie ein zauberhaftes Schattenspiel auf die Berge projiziert werden, legen wir die wenigen Kilometer, die uns von Tataouine trennen, zurück.

ETAPPE 7 – VON TATAOUINE NACH EL JEM (CA. 350 KM): ALLE STRASSEN FÜHREN NACH EL JEM
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Wir sind vor 8 Tagen aufgebrochen und haben bisher die besiedelten südlichen Distrikte von Tunesien erkundet. Dahinter liegt das schier endlose „Desert Horn“, das im Südosten an Libyen und im Südwesten an Algerien angrenzt. Jetzt ist es an der Zeit, zügig in Richtung Norden zu fahren. Heute werden wir viele Kilometer auf eher langweiligeren Landstraßen unterwegs sein, aber Tunesien hält für uns noch einige Highlights bereit!

Nach Tagen durch weite und offene Landschaften und über einsame Straßen befinden wir uns nun wieder auf städtischen Straßen, die mit Sicherheit eine besondere Herausforderung für unsere lange Karawane aus Motorrädern und Transportern darstellen. Viele Teilnehmer melden sich freiwillig, helfen den Tourguides dabei, die Gruppe zusammenzuhalten und den Verkehr in den Städten an Kreuzungen und Kreisverkehren zu stoppen. Aber ein Problem kann selbst die beste Planung nicht lösen: den Mangel an Parkmöglichkeiten.
Unseren ersten Halt wollten wir an der alten Speicherburg – Ksar – von Medenine einlegen, aber heute ist Samstag und damit Markttag. Malerisch, ursprünglich und voller Lebensfreude: Nur zu gerne wären wir in die Farbenpracht und die Aromen der Marktstände eingetaucht, doch es ist völlig unmöglich, ausreichend Parkplätze für unsere Reisegruppe zu finden. Also: Leb wohl Ksar, wir sehen uns ein anderes Mal! Uns bleibt nur, am Stadtrand für einen Morgenkaffee anzuhalten. Der Tourguide stoppt. Wir folgen ihm: Helm ab und dann sehen wir das Schild über dem Eingang des Lokals: „Caffé Bolzano“. Sie mögen nun mal Tunesier sein, aber sie wissen genau, wie man guten italienischen Espresso zubereitet.

„Ab auf eure Motorräder!“ befiehlt der Tourguide – und so machen wir uns alle folgsam auf den Weg zur Autobahn, die immer parallel zur Mittelmeerküste verläuft. Das Meer sehen wir erstmalig aber erst, als wir Mahres erreichen. Die Sonne scheint, die Temperaturen sind angenehm mild und wir genießen zum Abendessen köstlichen Fisch mit Blick auf die mit Flamingos übersäte Bucht.
Wir müssen noch die letzten 100 Kilometer bis zu unserem Etappenziel El Jem mit seinem malerischen Amphitheater, das 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde, zurücklegen. Das Hotel ist nur wenige Schritte entfernt gleich die Straße runter, aber wir parken unsere Motorräder rund um das beeindruckende Kolosseum. Es ist weltweit das drittgrößte Amphitheater. Wir kommen gerade noch rechtzeitig, um es im Licht der untergehenden Sonne bewundern zu können. Und die Italiener unter uns fragen sich verblüfft: Wie sind wir so schnell nach Rom gekommen?

Beim Einchecken im Hotel gibt es erstmalig eine Unterbrechung bei dem Ritual des Willkommensbieres. Eingeführt wurde es von den deutschen Teilnehmern, aber es gibt in der Gruppe auch einen Schweizer. Jedenfalls haben die  Italiener gelernt, sich diesem Ritual anzuschließen. Normalerweise kann die Jungs nichts von ihrer ersten wohlverdienten Flasche Celtia, ein ausgezeichnetes tunesisches Bier, den Helm und den Reisepass noch in der Hand haltend, abbringen. Schließlich ist Alkohol vom Morgen bis zur Ankunft am Etappenziel ein absolutes „No GO“. Aber in unserem großen Hotel in El Jem gibt es generell nur alkoholfreies Bier, und selbst das schenken sie nicht den ganzen Tag über aus. Man könnte leicht glauben, dass dies mit der islamischen Religion zusammenhängt, aber es gibt in der Tat eine ganz einfache Erklärung: In Tunesien sind die Lizenzen zum Ausschank von Alkohol sehr teuer.

Wir stehen nun kurz vor dem Ende unseres Abenteuers „Tunesien Experience“ und deshalb schieben wir unsere Schlafenszeit um einige Stunden hinaus, genießen dafür einen Abendspaziergang durch El Jem. Wir erleben das wunderschöne Amphitheater jetzt bei Nacht und genießen Tee und traditionelles Gebäck in einem typischen tunesischen Café.

ETAPPE 8 – VON EL JEM NACH TUNIS (CA. 250 KM): CHOKRAN (DANKE) MOTO GUZZI EXPERIENCE!
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Der letzte Tag im Sattel. Das letzte Mal verladen wir das Gepäck in die Vans. Ein letzter Blick über die Reihe der geparkten, nicht mehr makellosen Maschinen auf der Suche nach unserer Moto Guzzi. Heute Abend um 17.00 Uhr verlässt die Fähre die tunesische Küste.
Jeder von uns reagiert auf eigene Art und Weise: Einige werden schweigsamer, andere sammeln Telefonnummern und machen Selfies. Einige wünschen sich, in der Kolonne ein letztes Mal ganz am Ende fahren zu dürfen.
Sind wir Motorradfahrer wirklich so schrecklich sentimental? Es sieht ganz so aus. Zum Glück liegt fast noch ein ganzer Reisetag vor uns. Genug Zeit, um unsere Räder noch einmal auf den Asphalt zu bringen.

Die Hauptattraktion unseres heutigen Programms ist der Besuch der Medina, der Altstadt von Kairouan, der viertwichtigsten heiligen Stadt des Islams. „Sieben Pilgerfahrten hierher entsprechen einer Pilgerreise nach Mekka“, wie uns ein tunesischer Junge erklärte, den wir in der erhabenen Großen Moschee trafen. Der Zutritt zur Gebetshalle ist für Nicht-Muslime verboten, aber allein die Architektur des Gebäudes ist überwältigend: Es hat eine Grundfläche von 9.000 Quadratmetern, der Umfang beträgt etwa 415 Meter. In der Mitte des Innenhofs befindet sich eine weiße Sonnenuhr. Ganz in der Nähe ist ein Becken, wo Regenwasser gesammelt wird. Das Ganze wird von Mauern umschlossen und ist mit Säulen aus Granit und Porphyr umgeben, die einst aus alten Monumenten in Karthago gestohlen wurden.
Wir sind nur noch zu Dritt und unser neuer Freund lädt uns ein, mit ihm auf eine Terrasse neben der Großen Moschee zu klettern, um von dort oben den Ausblick zu genießen. Wir durchqueren drei Stockwerke mit Teppichläden, die Aussicht von hier ist wirklich atemberaubend. Kairouan gilt als die Teppich-Hauptstadt Tunesiens. Unser Guide fragt uns, ob wir einen kaufen wollen. Wir sagen nein und er bedrängt uns nicht weiter. Also bedanken wir uns für das kleine Geschenk, das er uns gemacht hat: „Chokran!“ Das bedeutet „Danke“ auf Tunesisch und ist eines der wenigen Worte, die wir gelernt haben.

Wir erreichen Hammamet rechtzeitig und haben sogar noch Zeit, um in Strandnähe frittierten Fisch zu genießen. Die Medina und die Strandpromenade sind gut gepflegt, aber die ganze Stadt erscheint uns wie ein großes osteuropäisches Touristenresort. Das hat nun wirklich wenig mit dem Spirit unserer Moto Guzzi Experience zu tun.

Die letzten 70 Kilometer bis zum Hafen von Tunis legen wir zügig auf der Autobahn zurück. Aber die Einschiffungsprozedur zieht sich schier endlos dahin und ein Zollbeamter versucht, uns dreist abzuzocken. Mit Hilfe unseres erfahrenen Tourguides meistern wir auch diese Situation und schon bald stechen wir in See zurück nach Italien.

Wir lassen die knapp 2.000 Kilometer, die wir in Tunesien zurückgelegt haben, noch einmal Revue passieren, denken an die Ängste, die wir vor unserer Abreise hatten und an die Krise in der Tourismusbranche als Folge des „arabischen Frühlings“ und der Anschläge im Jahr 2015. Wir sehen aber auch einen langsamen Aufwärtstrend, zu dem es unter anderem Menschen wie uns bedarf, die entschlossen sind, ihrer Leidenschaft für Entdeckungen, Abenteuer und natürlich Motorräder zu folgen.
Wir denken auch an unsere Gefährten und Reisebegleiter und daran, wie wir das bleibende tiefe Gefühl der Zugehörigkeit zu unserer Community in Worten und Gesten ausdrücken können. Wir denken ebenfalls an unsere Moto Guzzis, die sich tapfer geschlagen haben, von der kleinen V7 bis zur großen MGX-21. Sie war der Favorit unseres „Expert Riders“ – 76 Jahre alt, aber mit der Energie eines wirklich jungen Mannes. Wir wollen auch die V85 TT nicht vergessen und könnten ein ganzes Kapitel für die Tuttoterreno reservieren, um die Geschichte ihrer zweiten Tour in die Sahara zu erzählen, wo vor vielen Jahren ihre direkte Vorfahrin mit ähnlicher Lackierung Richtung Dakar brauste.
Unsere Motorräder ruhen derweil staubbedeckt im Schiffsladeraum. Sie sind für uns weit mehr als nur ein bloßes Transportmittel. Sie waren die Eintrittskarte zu diesem spannenden Reiseerlebnis, die Eintrittskarte, um dieses außergewöhnliche Land auf einzigartige Art und Weise zu entdecken.

Chokran Tunisia! Chokran Moto Guzzi Experience!