Moto Guzzi The Clan
GESCHICHTE

“Meine Dakars auf Moto Guzzi”: Claudio Torri, von den Rallyes in Afrika zur V85 TT

„Es ist 26 Jahre her, dass ich das letzte Mal Motorrad gefahren bin, und genauso lange ist es her, dass ich diese Geschichten erzählt habe.“

So steigt Claudio Torri in das Thema ein. Claudio wurde im Juli 2019 68 Jahre alt, spricht mit Bergamasker-Akzent – Region Bergamo, Italien, den er selbst nach einem Vierteljahrhundert, das er nun in Eritrea lebt, und trotz einiger Unfälle mit Verletzungen am Kinn, nicht abgelegt hat. Sein Lächeln ist sympathisch, wie ein Lausbub, und seine Augen leuchten jedes Mal, wenn der Name Paris-Dakar erwähnt wird, auf.

Zwischen 1984 und 1991 stellte er sich sechsmal dieser Herausforderung. Öfter als jeder andere und als einziger Italiener ist er viermal mit einer Moto Guzzi in dieses Abenteuer gestartet.

Leider hat Claudio es nie bis zum legendären Lac Rose / Retba-See geschafft, zumindest nicht im Rennen, aber das scheint ihm nicht so wichtig zu sein. Er fuhr jeweils mit anderen Prototypen, die er mit Unterstützung der Moto Guzzi-Testabteilung selbst aufbaute. Die Lackierung seiner ersten Dakar-Maschine war in den Farben Gelb, Weiß und Schwarz. Diese Lackierung war auch Inspiration für das markante „Sahara“-Design der V85 TT. Die Wahrheit: Die Farben waren eine Hommage an einen besonderen Freund…..


(Aktiviere YouTube-Untertitel in deiner Sprache, um dein Video-Erlebnis zu verbessern.)

Claudio erzählt The Clan von seiner unbeschreiblichen, ungebrochenen Leidenschaft für Moto Guzzi. Sobald er damit beginnt, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Dabei führt er uns durch sein kleines privates Museum im Val Seriana, das nur wenige Kilometer von seinem Geburtsort entfernt liegt. Es zeigt unzählige Erinnerungsstücke, Andenken, Ersatzteile sowie zwei seiner Dakar-Maschinen. Vieles ging in jenen Jahren allerdings in der Ferne, weit weg von Italien, verloren. Eine Zeit, in der er – wie er zugibt – nicht mehr über die Motorräder nachgedacht hat. Das ging sogar soweit, dass er, als er bei seiner Rückkehr in seine Heimat, Mitte 2019, über das Interesse der Fans an ihm und die Einladung zum Open House, erstaunt war. Der „Adler von Mandello“ war für ihn nicht nur ein Motorrad, sondern vielmehr ein Begleiter, ein Freund und Partner, bei seinen Dakar-Erlebnissen, die ihn, wie er sagte, gerettet und zu einem freien und glücklichen Menschen gemacht haben.

Für ihn stand der Name „Moto Guzzi” schon immer synonym für Faszination und Abenteuer, Begriffe, die auch heute für die vielen stolzen Besitzer einer V85 TT gelten. Wir können der Versuchung nicht widerstehen und bitten Claudio, sich nochmal in den Sattel zu schwingen, diesmal auf den der einzigartigen Classic Enduro, die unverkennbar eine Hommage an seine und die Geschichte seines V65 TT-Prototypen ist. Mit diesem Prototyp erreichte er 1985 problemlos Agadez, bis er dann wegen eines banalen Problems mit der Batterie aufgeben musste.

Wir laden Claudio in das historische Werk in Mandello del Lario ein und fahren im Museum mit unserem Interview fort. Das Interview findet direkt neben einer Nachbildung der Moto Guzzi statt, die er 1986 bei der Rallye Dakar 86 im französisch-italienischen Team fuhr, die damals vom französischen Guzzi-Importeur aufgebaut worden war. Zum Team gehörten auch Drobecq und Rigoni, die alle von Neff und Total gesponsert wurden. Dies war bei weitem Claudios konsequentester Anlauf. Als einziger im Team fuhr er auch eine wirklich konkurrenzfähige Maschine. Leider war es aber auch eines seiner katastrophalsten Erlebnisse. Schwachstellen an den Schwingen hatten zur Folge, dass eine Maschine nach der anderen aus dem Rennen fiel.

Wir gehen auf den Innenhof, um das wahre Juwel zu fotografieren, das Claudio mitgebracht hat. Eine Moto Guzzi Tropicana, mit der er 1988 die Rallye Dakar bestritt. Sie wurde im Werk wieder komplett aufgebaut und befindet sich in perfektem Zustand. Dazu gibt es ein Foto mit ihm, das hier während der Präsentation 1987 gemacht worden ist: Es zeigt Claudio, ein paar Techniker in ihren Overalls und im Hintergrund den Windkanal. Beinahe gelingt es uns, die Szene fast identisch nachzustellen. Als wir feststellen, wie wenig sich doch diese versteckte Ecke im Werk in den zurückliegenden 31 Jahren verändert hat, treibt es uns ein Lächeln ins Gesicht.

Die V85 TT kommt gefahren. Wir stehen für einige Augenblicke still und bewundern die beiden Maschinen Seite an Seite. Claudio scheint sichtlich angetan, bevor er hinzutritt, um einen intensiveren Blick darauf zu werfen. Als ihm der Zündschlüssel überreicht wird, schauen wir ihm in die Augen: Sie strahlen voller Begeisterung, wie die eines kleinen Jungen – eines kleinen Jungen, den auch wir alle in uns drinnen tragen – der die Regie übernimmt.

„Vor 26 Jahren fuhr ich zum letzten Mal meine Moto Guzzi Severe” – den anderen Prototyp, der ebenfalls in seinem Museum steht. 1991 fuhr er mit der Severe die Dakar, und dann, nach weiteren umfangreichen Modifikationen, 1992 die Rallye Paris-Moskau-Peking. „Wenn ich heute auf dieses Motorrad steige, ist es wie eine Reise in die Vergangenheit.”

Es dauert einen Moment, bis er die Kupplung kommen lässt. Obwohl die Sitzhöhe nur 83 cm beträgt, kommt Claudio nur knapp mit den Füßen auf den Boden. Doch dann kommt plötzlich in ihm der Rennfahrer durch. Es ist nicht ganz einfach, ihn für die Foto- und Videoaufnahmen zum Anhalten zu überzeugen, geschweige ihm durch die engen Straßen entlang des Comer Sees zu folgen. Wir folgen ihm dennoch irgendwie, natürlich auch auf einer Tuttoterreno. Freuen uns bei dem Gedanken an das, was Claudio gerade erlebt: das Lächeln hinter seinem Visier lügt nicht. Es besagt, dass Claudio in diesem Augenblick nicht mehr nur der Erzähler alter Guzzi-Geschichten ist. Er spielt eine Hauptrolle bei einem neuen Abenteuer: Ein Motorradfahrer, der gerne auf seiner Moto Guzzi fährt, genau wie wir.